Reparaturkosten – Ersatz um jeden Preis?

Wer einem anderen sein Fahrzeug beschädigt, hat dem Geschädigten grundsätzlich Ersatz des ihm entstanden Schadens zu ersetzen. Dieser Grundsatz wirft in der Praxis jedoch immer wieder die Frage auf, ob der Geschädigte sein Fahrzeug um jeden Preis reparieren lassen darf.

Ein Beispiel:

Pkw wurde beschädigt. Reparaturkosten 20.000.- €, Wiederbeschaffungswert (Fahrzeugwert vor dem Unfall) 5.000.- €. Muss der Unfallverursacher (bzw. dessen Haftpflichtversicherung) tatsächlich die Reparaturkosten in Höhe von 20.000.- € bezahlen?

Die Rechtssprechung unterscheidet:

Überschreiten die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht, gibt es im Normalfall keine Probleme mit der Schadensabwicklung. Der Geschädigte kann konkret abrechnen (d.h. reparieren lassen und die Reparaturkosten von der Versicherung ersetzt verlangen) oder fiktiv auf der Basis des Gutachtens abrechnen (d.h. die im Gutachten ausgewiesenen Reparaturkosten (netto) verlangen).

Darüber hinaus räumt die Rechtsprechung dem Geschädigten in Grenzen ein, sein Fahrzeug auch dann noch reparieren zu lassen, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert überschreiten.

Dabei wird abgewogen zwischen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen und dem so genannten Integritätsinteresse, dem Interesse des Geschädigten, sein ihm vertrautes Fahrzeug reparieren zu lassen und weiter zu benutzen.

Die Rechtssprechung hat hier die so genannte 130 %-Grenze festgelegt und versteht darunter, dass ein Geschädigter Ersatz des Reparaturaufwandes bis maximal 130 % des Wiederbeschaffungswertes verlangen kann (BGH, NJW 1992, S. 302).

Übersteigt der Reparaturaufwand (Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung) den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges um mehr als 30 % spricht man von einem wirtschaftlichen Totalschaden. In diesem Fall kann der Geschädigte vom Schädiger (bzw. dessen Haftpflichtversicherung) lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangen, nicht dagegen die Kosten für die Instandsetzung des Fahrzeuges.

Beispiel:

  • Reparaturkosten: 12.500.- €
  • Wertminderung: 1.000.- €
  • Reparaturaufwand: Reparaturkosten plus Wertminderung = 13.500.- €
  • Wiederbeschaffungswert: 10.000.- € 130 % -Grenze: 13.000.- €

Der Reparaturaufwand übersteigt im Beispielsfall die 130 % – Grenze des Wiederbeschaffungswertes. Es liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Die Kosten einer Reparatur werden nicht ersetzt.

Liegt der Reparaturaufwand innerhalb der 130 % – Grenze kann nach einem höchstrichterlichen Urteil der Geschädigte den Reparaturaufwand bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes jedoch nur dann verlangen, wenn der (durch Gutachten festgestellte) Fahrzeugschaden fachgerecht durchgeführt wurde (BGH, NJW 2005, 1108).

Wurde der Schaden schlecht oder nur teilweise repariert, hat der Geschädigte wiederum lediglich einen Anspruch in Höhe des Wiederbeschaffungswertes.

In einem anderen Fall, bei dem die vom Gutachter ermittelten Reparaturkosten ebenfalls innerhalb der 130 % – Grenze lagen, hat der BGH entschieden, dass der Geschädigte bei einer Abrechnung auf der Basis des Gutachtens (fiktiv) nicht die im Gutachten ermittelten Reparaturkosten verlangen kann sondern lediglich den im Gutachten festgestellten Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug nur teilweise repariert (BGH in NJW 2005, 1110, wobei im konkreten Fall die Reparaturkosten der Teilreparatur den Wiederbeschaffungsaufwand nicht überstiegen hatten).

Lässt der Geschädigte bei einem 130 – % Fall sein Fahrzeug fachgerecht reparieren, kann er den Schaden konkret abrechnen, d.h. die tatsächliche Reparaturrechnung vorlegen.

Der Geschädigte kann bei einer fachgerecht durchgeführten Reparatur aber auch fiktiv auf der Basis des Gutachtens abrechnen und die im Gutachten ermittelten Reparaturkosten verlangen.

Gemeint ist der Fall, dass der vom Gutachter festgestellte Reparaturaufwand innerhalb der 130 – % Grenze liegt, der Geschädigte das Fahrzeug selbst kostengünstiger repariert (oder reparieren lässt) als im Gutachten festgestellt, sich jedoch den im Gutachten festgestellte Reparaturaufwand erstatten lässt. Besonders bei grenzwertigen Reparaturkosten, die gegebenenfalls auch innerhalb der Norm liegen könnten, bietet sich für den Geschädigten ein Vergleich von Kfz-Werkstätten an. Diese können kostenlos und unverbindlich im Internet angefragt werden.

Wird es auch bei keiner Werkstatt preisgünstiger und betragen die vom Gutachter ermittelten Reparaturkosten deutlich mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes, kann der Geschädigte die Reparaturkosten nicht aufspalten in einen von der Versicherung zu tragenden Teil (bis 130 % des Wiederbeschaffungswertes) und in einem vom Geschädigten selbst getragenen (über die 130 % hinausgehenden) Teil (BGH, Urteil vom 10.07.2007-VI ZR 258/06, wobei im konkreten Fall die tatsächlichen Reparaturkosten über 130 % des Wiederbeschaffungswertes lagen).

Nicht entschieden ist der Fall, dass die vom Gutachter ermittelten Reparaturkosten zwar die 130% -Grenze überschreitet, die tatsächlichen Reparaturkosten jedoch unterhalb von 130 % des Wiederbeschaffungswertes liegen.

Will der Geschädigte Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigen, geltend machen, verlangt die Rechtsprechung jedoch auch, dass der Geschädigte ausreichend deutlich sein Integritätsinteresse zum Ausdruck bringt. Der Geschädigte muss zu erkennen geben, dass er an der Weiterbenutzung seines ihm vertrauten Fahrzeuges Interesse hat. Dies bringt der Geschädigte nach verschiedenen höchstrichterlichen Entscheidungen im Regelfall dadurch zum Ausdruck, dass er sein Fahrzeug nach dem Unfall wenigstens noch 6 Monate weiter benutzt (BGH VI ZR 56/07; BGH VI ZR 89/07; BGH VI ZR 237/07).

Aus diesen Entscheidungen leiten verschiedene Haftpflichtversicherer zugleich ein Recht ab, an den Geschädigten zunächst lediglich den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert auszubezahlen und den Rest erst nach Ablauf einer Weiterbenutzungszeit von 6 Monaten, wodurch der Geschädigte u.U. gezwungen wird, einen Teil der Kosten für einen längeren Zeitraum vorzufinanzieren.
Vor allem die Berufungsgerichte nehmen in diesem Punkte zu Gunsten der Geschädigten Position. Der Umstand, dass der BGH noch wenigsten 6 Monate sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um zum Ausdruck zu bringen, dass er an der Weiternutzung seines Fahrzeuges interessiert ist, heißt nicht, dass die Versicherung den vollen Schadensausgelich erst nach Ablauf der 6-Monatsfrist zu leisten braucht. Der volle Schadensausgleich ist bereits vor Ablauf der 6-Monatsfrist fällig, so LG Trier, 1 S 76/08; LG Münster, 8 S 163/07; LG Kiel, 10 S 65/07.

Diese Auffassung wird nun vom BGH bestätigt, der in seinem Beschluss vom 18.11.2008, VI ZB 22/08, entschieden hat, dass in den 130 %-Fällen der Anspruch auf Reparaturkostenersatz in der Regel in vollem Umfang sofort fällig ist, wenn der Fahrzeugschaden vollständig und fachgerecht repariert wurde.


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