Fiktive Abrechnung (Abrechung auf Gutachten / Kostenvoranschlag)

Der Geschädigte kann zwischen Werkstatt-Reparatur und Eigen-Reparatur (fiktiver Abrechnung) wählen, wobei es ihm vorbehalten bleibt, sein Fahrzeug tatsächlich zu reparieren.

Wird bei einem Unfall ein Fahrzeug beschädigt und liegt kein Totalschaden vor, hat der Geschädigte gegenüber dem Unfallverursacher (bzw. dessen Haftpflichtversicherung) grundsätzlich ein Wahlrecht, ob er den Fahrzeugschaden tatsächlich reparieren lässt und für die Reparaturkosten eine Rechnung vorlegt (konkrete Abrechnung) oder ob er den Schaden auf der Basis eines Gutachtens oder eines Kostenvoranschlages beziffert, also die von einem Gutachter ermittelten Reparaturkosten geltend macht (fiktive Abrechnung).

Soweit der Grundsatz.
Die Rechtsprechung setzt der fiktiven Abrechnung jedoch Grenzen, insbesondere soll sich der Geschädigte durch einen Unfall nicht bereichern.
Er soll (wirtschaftlich) so gestellt werden, wie vor dem Unfall.

Hierzu hat der BGH in seiner Entscheidung vom 07.06.2005 (BGH VI ZR 192/04) Ausführungen getroffen.

So wird bei einer fiktiven Abrechung die Mehrwertsteuer nur noch erstattet, wenn sie auch tatsächlich angefallen ist und nachgewiesen wird.

Repariert jemand sein Fahrzeug in Eigenreparatur und rechnet auf Gutachtenbasis ab, dann erhält er die im Gutachten ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht erstattet.
Ist jedoch tatsächlich Mehrwertsteuer angefallen, so ist diese auch zu erstatten.

Wer bei einer Eigenreparatur beispielsweise Ersatzteile einkauft und in dem Kaufpreis Mehrwertsteuer enthalten ist, erhält diese gegen Vorlage der Rechnung erstattet.

Eine weitere Grenze bei fiktiver Schadensabrechnung setzt die Rechtsprechung, wenn ein Fahrzeug vom Geschädigten nicht weiter benutzt sondern verkauft wird. Dabei ist es egal, ob das Fahrzeug unrepariert oder repariert weiter verkauft wird. Wird das Fahrzeug vom Geschädigten nicht weiter genutzt, erhält er maximal die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zugesprochen.

Beispiel:
Wiederbeschaffungswert: 19.000.- €, Restwert 7.000.- €, fiktive Reparaturkosten 14.000.- €.
Wird ein Reparaturnachweis nicht erbracht, kann der Geschädigte nicht die fiktiven (durch Gutachten ermittelten) Reparaturkosten in Höhe von 14.000.- € fordern sondern lediglich die Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert, also 12.000.- €.

Damit wird der Geschädigte wirtschaftlich so gestellt wie vor dem Unfall, wo er für ein vergleichbares Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt 19.000.- € hätte bezahlen müssen.
Von der Versicherung hat der Geschädigte 12.000.- € erhalten. Zusammen mit dem Restwert des Fahrzeuges von 7.000.- € hat er wirtschaftlich wieder 19.000.- €.

Wird ein Fahrzeug vom Geschädigten weiter genutzt (repariert oder auch nicht repariert), kann er die Reparaturkosten (ohne Abzug des Restwertes) nach Gutachten verlangen, wenn diese (einschließlich Minderwert) geringer sind als der Wiederbeschaffungswert.
Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch den Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug – gegebenenfalls unrepariert – mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt
(BGH-Urteil vom 23.05.2006 (BGH VI ZR 192/05).

Mit der 6-Monatsfrist bringt der Geschädigte ausreichend deutlich sein Integritätsinteresse zum Ausdruck. Er gibt damit zu erkennen, dass er an der Weiterbenutzung seines ihm vertrauten Fahrzeuges Interesse hat.
(BGH VI ZR 56/07; BGH VI ZR 89/07; BGH VI ZR 237/07).

Das AG Köln hat in seiner Entscheidung 269 C 166/08 entschieden, dass der Geschädigte auch vor Ablauf der 6-Monatsfrist die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug eines Restwertes verlangen kann, wenn der Geschädigten die ernste Absicht hatte, sein Fahrzeug weiter zu nutzen, aber ohne sein Verschulden ihm dies nicht möglich war.

Im konkreten Fall nutzte der Geschädigte sein beschädigtes (verkehrssicheres) Fahrzeug zunächst 3 Monate weiter, ehe er es wegen eines Motorschadens aus wirtschaftlichen Gründen verkaufte.

Beispiel:
Wiederbeschaffungswert 19.000.- €, Restwert 7.000.- €, Minderwert 1.000.- €, fiktive Reparaturkosten 14.000.- €.
Fahrzeug wurde in Eigenreparatur instandgesetzt und weiter genutzt. Der Geschädigte kann die fiktiven Reparaturkosten in Höhe von 14.000.- € verlangen, weil diese zusammen mit dem Minderwert geringer sind als der Wiederbeschaffungswert und er das Fahrzeug auch weiter benutzt.

Den Restwert braucht sich der Geschädigte nicht in Abzug bringen zu lassen. Im sog. Porsche-Urteil (BGH VI ZR 398/02) hat der BGH ferner klar gestellt, dass sich der Geschädigte auf die im Gutachten zugrunde gelegten Stundenverrechnungssätze berufen darf und sich nicht von der Versicherung auf Verrechnungssätze von angeblichen Vertrauensbetrieben oder günstigen Referenzbetrieben verweisen lassen muss.

Der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, darf der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen.
Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag, so der BGH.

Lediglich, wenn dem Geschädigten ohne Weiteres eine gleichwertige preiswertere Werkstatt zur Verfügung steht, kann die Versicherung Einwände erheben, wobei hohe Anforderung an das Kriterium der Gleichwertigkeit gestellt werden.

Zusammenfassend:

1. Fiktive Abrechnung kommt nur in Frage, wenn kein Totalschaden (Reparaturaufwand höher als Wiederbeschaffungswert) vorliegt.

2. Wird das Fahrzeug vom Geschädigten nicht weiter genutzt, erhält er maximal die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zugesprochen.

3. Fahrzeug wird vom Geschädigten wenigstens 6 Monate weiter genutzt. Der Geschädigte kann die fiktiven Reparaturkosten (ohne Abzug des Restwertes) geltend machen.


Foto:123rf.com